Viele Ergebnisse von Untersuchungen sind eine Nachricht wert. Forscher verkünden mit Stolz eine neue Erkenntnis, und die Medien greifen sie auf. Sie gehören dann zu unserer Lebenswirklichkeit, und wir müssen mit den neuen Zahlen und Informationen, mit einem erweiterten Wissensstand umgehen. Ganz so klar geteilt in ein Vorher und ein Nachher ist die Welt der Wissenschaft aber nicht. Vielleicht gibt es also überraschende Forschungsergebnisse gar nicht! Das hat zwei Gründe – einen logistischen und einen epistemischen, der also mit der Natur des Wissens an sich zu tun hat.
Zuerst der logistische: Forschung kostet Geld. Alles, was teuer ist, steht in Zeiten wirtschaftlicher Krisen auf dem Prüfstand. Selbst wenn es sich um Aktivitäten handelt, die in einem institutionell stabilen Kontext wie einer Universität stattfinden. Der große Trend der vergangenen Jahre und Jahrzehnte hat mit der Finanzierung von Forschung zu tun: Geldgeber wie Staat und Stiftungen sind immer seltener bereit, Stellen zu unterstützen; sie finanzieren lieber Projekte. Stellen sind unflexibel, das heißt sie können, wenn das Fachgebiet des Stelleninhabers oder dieser selbst sich als wenig leistungsfähig erweist, nicht so einfach wieder gestrichen werden. Projekte dagegen sind von vornherein klar definiert; sie beruhen auf erwiesenen Kompetenzen von Institutionen und Individuen, sie haben einen Zeitplan und messbare Milestones, und schon der Projektantrag enthält eine Risikoanalyse. Wer forschen will, muss Geld eintreiben – und zwar nicht nur, um sich die eigene Arbeit zu ermöglichen, sondern auch, um von seiner Institution anerkannt zu werden. Ob jemand „drittmittelstark“ ist, spielt für die Beförderung derer, die eine stabile institutionelle Anbindung und ein Grundgehalt haben oder anstreben, eine entscheidende Rolle.
Wer Forschung finanziert, will aber nicht nur Geld geben, sondern auch bestimmte Forschungsbereiche gezielt fördern. Er hat Interessen. Wer sich um Geld bewirbt, muss sich in immer mehr Fällen nach den thematischen oder methodischen Maßgaben des Sponsors richten. Diese mögen sehr weit gefasst sein wie in dem gerade ausgeschriebenen 80-Milliarden-Euro-Förderprogramm Horizon 2020 der Europäischen Union. Die erbitterten Kämpfe selbst um kleinste Formulierungen in dessen Ausschreibung haben aber gezeigt: In der Praxis werden auch offen formulierte Richtlinien in einer spezifischeren Art und Weise ausgelegt.
Überraschende und weniger überraschende Forschungsergebnisse haben also, das ist die institutionelle Seite der Wissenschaft, mit den Interessen des Geldgebers zu tun. Das hat nichts Sinistres, wenn die Kategorien transparent, die Geldmengen großzügig und die Vielfalt von Sponsoren gewährleistet sind. Wissensgesellschaft und Orientierungswirtschaft sind hier insgesamt auf einem guten Weg.
Gute Fragen verhindern überraschende Forschungsergebnisse!
Der zweite Grund, warum Forschungsergebnisse nicht aus heiterem Himmel auf eine für sie völlig unvorbereitete gesellschaftliche Wirklichkeit treffen, hat mit der Natur wissenschaftlicher Arbeit zu tun.
Wer etwas wissen will, stellt eine Frage. Oder umgekehrt: Wer den Eindruck hat, in einer Welt zu leben, in der vieles fraglich und unklar ist, wird sich auf die Suche nach verlässlichen Erkenntnissen machen. Überhaupt eine Frage zu formulieren setzt also schon viele Eindrücke und Einschätzungen voraus – ein bestimmtes Grundwissen, das Lücken aufweist. Und diese Lücken sind in den Blick gekommen, weil der Fragende eine neue Perspektive eingenommen hat.
Ein Beispiel: Galileo Galilei hat entdeckt, dass sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt. Dass er dies aber überhaupt für möglich halten konnte, dass er eine entsprechende Hypothese formulieren und dann überprüfen konnte, setzte schon viele Veränderungen gegenüber dem mittelalterlichen Bild vom Menschen und seinem Ort im Kosmos voraus. Bevor Galileo seine Frage stellen konnte, musste schon vieles fraglich geworden sein, und diese Fraglichkeit muss ihm deutlich gewesen sein. Eine gute Frage zu stellen ist, so brachte es der Philosoph Hans Georg Gadamer auf den Punkt, schon ein guter Einfall.
In wirtschaftlicher Hinsicht heißt das: Wer eine Frage, ein Erkenntnisinteresse in eine wegweisende Form bringt, erbringt schon eine Leistung. Die Arbeit an der Frage gehört zum Lösungsweg.
Insofern ist es zwar selten, aber nicht sinnlos, dass eine Zeitung davon berichtet, wenn ein Wissenschaftler eine neue Frage stellt.