Genies sind gern für sich. Wenn sie Gedichte schreiben, dann nicht für Leser. Für Leser schreiben nur wenige moderne Dichter. Diese wenigen sehen Lyrik als Form der Kommunikation über schwierige Gefühle, wollen ihre Leser zum Handeln bewegen oder gar erziehen. Ein solcher Dichter war Stefan George. Um die vorletzte Jahrhundertwende und bis in die 1920er Jahre schrieb er über das „herz voll liebe“, die „bergesfeier / Wo du den wein aus meinem becher trankst“, und er pflegte Freundschaften, unter anderem mit den Brüdern Stauffenberg, die sich später gegen Hitler verschworen. Nun liegt eine neue Stefan-George-Biographie vor.
George wurde schnell zum Stoff für Geschichten. Seine Freunde hielten ihn für den Retter einer edlen deutschen Kultur vor den Gefahren des Militarimus und des schrankenlosen Konsums. Für seine Gegner war er der machthungrige, abgehobene Autokrat, der jungen Männern allzu nahe kam. Kaum ein Dichter hat so polarisiert.
George zieht immer mehr Aufmerksamkeit auf sich, und nun gibt es auch wieder eine neue Biographie. Der Bielefelder Literaturwissenschaftler Kai Kauffmann rückt zahlreiche besonders extreme Urteile mit behutsamer Hand zurecht. Er setzt sich in angenehm unaufgeregtem Ton mit George-Verehrern auseinander, zum Beispiel dem Geschichtsschreiber Friedrich Wolters, aber auch mit Fachwissenschaftlern, die in den vergangenen Jahren kaum ein gutes Haar an dem rheinisch-europäischen Lyriker ließen.
Das Buch bespreche ich in den Literaturen, einer Beilage der Zeitschrift Cicero.