Wäre es nicht faszinierend und nützlich, wenn wir Assoziationen messen könnten? Wie oft stehen wir jemandem gegenüber und fragen uns, ob er eine Sache genauso versteht wie wir oder sich etwas ganz anderes vorstellt, wenn wir zum Beispiel „Innovation“ oder „Migrant“ oder „Europa“ sagen.
In einer bahnbrechenden Studie haben mein Kollege Cory Massaro und ich, mit Hilfe von Word2vec, nun genau das versucht. Wir haben drei große Textkorpora gebildet und strukturiert, um zu analysieren, wie Deutsche, britische Proeuropäer und britische Europagegner eine Reihe polarisierender Begriffe verwenden.
Wir fragen, wie citizen und weitere Begriffe für politische oder gesellschaftliche Akteure gebraucht werden. Wir wollten ihren semantischen Gehalt bestimmen, herausfinden, ob sie von den beiden Seiten der Europa- und Nationalismusdebatte unterschiedlich verwendet werden und, wenn ja, wie groß die Unterschiede sind, und wir wollten die Ergebnisse in Beziehung setzen zum deutschen Wort Bürger, das allem Anschein und allen Wörterbüchern nach das Äquivalent von citizen ist.
Die Ergebnisse unserer Analyse bestätigen unsere Hypothesen: Die drei Korpora unterscheiden sich dramatisch voneinander. Remainer und Leaver sowie Briten und Deutsche haben fundamental andere Assoziationen, wenn es um die Rolle von Menschen innerhalb eines Gemeinwesens geht.
Ein Beispiel: Wenn wir vom Wort British ausgehen, erkennen wir in den ausgewerteten Texten zwei Vorstellungen, die nur schwer miteinander vereinbar sind. Auf der Remain-Seite ist British mit einer ganzen Reihe pejorativer Begriffe verbunden (unacceptable, disaster, no clarity, catastrophe, shambolic) sowie mit Wendungen aus dem Bereich politischer Kompromisse und Blockaden (veto, negotiators, both sides, long extension). Unter Leavern dominiert die Sprache des Triumphs und des Auftrumpfens: restore, strengthen, supremacy, influence, potential.
Die Tiefe der Spaltung zwischen den beiden Lagern erkennt man, wenn man die Korpora zusammenführt. Im kombinierten Korpus liegt British nahe bei us. Aber sonst? Eine genauere inhaltliche Bestimmung ist im Gesamtkorpus nicht erkennbar. Die beiden Seiten können sich nicht einigen. British ist entweder eine Ruinenlandschaft am Rande des völligen Zusammenbruchs oder ein starkes Volk. Eine Sprache des Kompromisses gibt es nicht.
Weitere Ergebnisse und Schlussfolgerungen unserer Analyse sowie eine Erklärung, wie wir Assoziationen messen, stellen wir in der Fachzeitschrift Der Sprachdienst und auf deren Webseite vor. Für eine Stellungnahme oder ein Gespräch stehen wir gern zur Verfügung.