David Cameron macht gerade alles falsch. Er lässt sich von Euroskeptikern in die Ecke treiben und versucht sie rechts zu überholen. Er opfert dabei einen Grundpfeiler der europäischen Wohlstands-Ordnung, die Freizügigkeit von Arbeitnehmern. In einer Folge nationalistischer Ausbrüche, die in Deutschland kaum vorstellbar wären, erklärt er immer wieder, „britische Interessen“ und „britische Werte“ seien für ihn das Wichtigste. Man stelle sich einen Bundespolitiker vor, der regelmäßig lauthals verkünden würde, “deutsche Werte” seien das einzige, was für ihn zählt. Cameron gegen Freizügigkeit — der neue große Kampf auf der Insel.
Dass Großbritannien von der EU nicht kolonisiert wird, hat er offenbar vergessen. Cameron würde nie offen sagen, was seit Jahrzehnten Realität ist: Britische Regierungen schreiben europäische Verträge mit. Sie werden nicht von „Brüssel“ oder „dem Kontinent“ oder „Europa“ unterjocht. Wenn Cameron wutschnaubend verkündet, es müsse doch selbstverständlich sein, dass Großbritannien seine Grenzen kontrolliere, dann kann man nur sagen: Nein, das ist es nicht. Der Sinn der europäischen Einigung ist es gerade, dass die Mitgliedsländer die Freizügigkeit von Arbeitnehmern, Dienstleistungen, Kapital und Waren garantieren.
Dass ein britischer Premierminister derartig Amok läuft, ist besorgniserregend. Zumal er nicht sagt, was er eigentlich will. „Arme“ Zuwanderer sollen draußen bleiben, da sie nur dem Steuerzahler auf der Tasche lägen. Hochqualifizierte Zuwanderer sollen aber auch draußen bleiben, denn die würden britischen Arbeitnehmern die Jobs klauen. Dass Fachkräfte zum Wirtschaftswachstum beitragen, hat der Wirtschaftsliberale Cameron offenbar vergessen. Seine Liberalität äußert sich inzwischen nur noch darin, dass er die Freizügigkeit von Kapital nicht einschränken will. Die EU ein Europa der Banken – stünde das im Einklang mit „britischen Werten“?
Warnern vom Festland wie der deutschen Bundeskanzlerin Merkel lässt Cameron zurufen, man solle sich doch nicht so aufregen, er habe ja noch gar keine Forderungen gestellt. Das stimmt. Seit Jahren tingelt Cameron großspurig durch die englischen Lande und macht antieuropäische Stimmung. Er wolle im Sinne britischer Interessen neu verhandeln, Grenzen bewachen und mit der „Menschenrechts-Farce“ ein Ende machen (gemeint ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte).
Was er aber genau will, wüsste man schon gern. Dann könnte man mit ihm verhandeln. So funktioniert Europa nämlich: Man redet miteinander, und dann schließt man Verträge, an die man sich dann hält. Genau das will Cameron offenbar nicht. Und das ist für den Wohlstand in Europa gefährlich. Wenn der europäische Binnenmarkt für Fachkräfte eingeschränkt wird, leiden letztlich alle.
Einer meiner deutschen Kollegen hier in Bristol beantragt gerade die britische Staatsbürgerschaft — man könne ja nie wissen. Ich jedenfalls würde mich freuen, wenn “England” und “Europa” nicht länger als Gegensatz behandelt würden.