Alle reden vom lyrischen Ich, nur ich nicht, denn mich interessiert, ob es eigentlich auch ein lyrisches Du gibt.
Gedichte, in denen ein Du vorkommt, sind seltener geworden, aber es gibt sie. Wenn wir einander ein Gedicht vorlesen, in dem ein Du vorkommt, verändert sich unsere Beziehung. Das Gedicht wird zum Spielfeld, auf dem wir, Leser und Hörer, zusammenkommen. Wir wetteifern miteinander in der Deutung des Gedichts. Wir wenden es auf unsere eigenen Leben an. Wir spielen auf diesem Spielfeld nicht gegeneinander. Wir bringen Erfahrungen ins Spiel. Wir sind großzügig. Wir tauschen vielleicht sogar die Rollen. Auch Unterschiede treten
jetzt deutlicher hervor.
Ein lyrisches Du hilft uns, etwas zu teilen. Es wird Teil unseres Gesprächs. Das vorlesende Ich schlägt zum angesprochenen Du eine Brücke. Das dialogische Gedicht wird greifbar und praktisch relevant. Es ermöglicht uns, das auszuloten, wovon es spricht: Gefahr, Genuss, Gemeinsamkeit.
Mit diesen Fragen habe ich mich an zwei Stellen beschäftigt, und zwar ausführlich in meinem Buch zu Stefan George, und knapper und thesenhafter in der Zeitschrift allmende.
„Fricker teilt Georges skeptischen Blick auf die Moderne, schätzt seinen Versuch, auf moderne Weise antimodern zu sein, sich einem Senkblei gleich in die Gegenwart hinabzulassen, um sich gegen deren Zumutungen zu wappnen, gegen Machbarkeitsglauben, entgrenzten Individualismus und die heute wieder so aufgeputzte Rede vom vermeintlich Alternativlosen. Frickers Sicht belebt und erfrischt.“ (DIE WELT, 17. Dezember 2011)