Schreiben ist ein bisschen wie Schwulsein. Wenn man jung ist, denkt man, man ist der einzige. Man weiß nicht, wie’s geht. Und man hat keine Ahnung, was mal draus werden soll. Irgendwie wurstelt man sich so durch. Meistens allein. Und dann kommt die hessische Landesregierung. Und die thüringische Landesregierung. Sie schreiben einen Wettbewerb aus: Junges Literaturforum Hessen Thüringen.
Da wurstelt man zunächst auch noch allein. 16- bis 25-Jährige schreiben ihre Texte und schicken sie ein. Richtige Schriftsteller lesen sie und vergeben eine ganze Menge Preise.
Warum machen die beiden Regierungen das? Die Hessen immerhin seit 1984, die Thüringer seit 1994? Die Frage ist nicht gut gestellt. Kultur ist nicht etwas, was der Staat tut, es ist etwas, was der Staat ist (wenn alles gut geht). Wir sind Kultur. Und Kultur teilt sich mit. Deshalb muss das mit dem Rumwursteln irgendwann sein Ende haben.
1995 gewann ein wackeres Dutzend Jungautorinnen und -autoren Preise, darunter ich. Wir nahmen unsere Urkunden im Hessischen Staatstheater in Wiesbaden entgegen, und dann wurden wir zu einem Preisträgerseminar eingeladen. Mit dem Alleinsein war es vorbei. Jedenfalls literarisch. Das Seminar war der ideale Ort fürs Vorlesen, das gemeinsame Lesen, das Gespräch über Literatur. Das war in Bad Salzhausen. Außer der Literatur gab es da nicht viel zu feiern, aber das war viel.
Werner Söllner schrieb ein Gedicht von mir fertig, Alban Nikolai Herbst las einen Text aus seinem Laptop vor (weder diesen Herbst noch überhaupt einen Laptop hatte ich bis dahin je gesehen), und Harry Oberländer schrieb ein Sonett. Oder jemand erzählte, Harry Oberländer könne Sonette schreiben. Irgend sowas. Das ist lange her.
Der Gründer des Literaturforums, Dr. Dieter Betz, und seine Mitstreiter damals wie heute haben erkannt: Wie alles im Leben lässt sich auch das Schreiben üben. Nicht das Ideenhaben. Aber das Ideenentwickeln. Wer sich über „Schulen“ lustig macht, war offenbar auf einer schlechten Schule. Es gibt aber auch gute Schulen. Wo Schüler nicht indoktriniert, sondern gefördert werden. Und wer sich gegen das „Handwerk“ wehrt, wird von mir gefragt werden, was er denn unter Handwerk versteht.
Fünf Dinge gehören dazu. Alle haben auch mit dem Schreiben zu tun. Diese fünf Dinge und das ganze Drumherum habe ich mir irgendwann mal von der Seele geschrieben. Und ich streite leidenschaftlich für diese Praxis. Was ich in der Literatur mache, ist davon geprägt. Und in einem wissenschaftlich fundierten Buch über einen ungewöhnlichen Dichter habe ich meine Erfahrung auch akademisch fruchtbar zu machen versucht. Denn zumindest ein bedeutender Autor des 20. Jahrhunderts setzte die Qualitäten des Handwerks vorbildlich um.
Für mich war das Preisträgerseminar ein Wendepunkt. Was ich gelernt habe, begleitet mich: Bad Salzhausen lebt weiter! Auch weil ich noch genau weiß: Jemand las einen Text über Yoghurt vor. Jemand sprach akzentfrei Englisch. Jemand brach bei einem Text über sexuellen Missbrauch in Tränen aus. Jemand bekam im Kurpark von einer Passantin ein Buch geschenkt, nachdem er erklärte, dass wir junge Autoren seien. Sie hatte uns angesprochen, weil wir als unter 100-Jährige durchaus auffielen.
Und irgendwann tritt man in die andere Riege ein. Dieses Jahr, im Juni 2013, findet das “Junges Literaturforum Hessen Thüringen” Seminar in Geisa statt. Björn Jager, Nadja Einzmann, Nancy Hünger, Helge Pfannenschmidt und ich werden versuchen, im Gespräch mit den Preisträgern und miteinander, Texte besser und jungen Autorinnen und Autoren Mut zu machen. Ich freue mich drauf. Ein Jahr ohne Junges Literaturforum Hessen Thüringen ist fast ein Jahr ohne Schreibhandwerk, und das geht natürlich nicht 🙂
Jetzt muss ich mich aber entschuldigen. Das einsame Weiterwursteln ruft.
Denn auch der nicht mehr ganz junge Autor muss irgendwann in Ruhe seine Texte schreiben.
– Foto von Ed Yourdon.