Kann man eigentlich aus dem Thema Migration Satire und Komik gewinnen? Muss man das sogar? Und geht es bei Migration immer nur um “Südländer”, die nach Deutschland kommen, oder auch mal um Deutsche, die gen Süden fliehen, sei es auch nur zeitweilig, als Touristen?
Da sind sie, am Strand eines italienischen Badeortes — zum Beispiel in Gerhard Polts Film Man spricht deutsh (mit dem Schreibfehler im Titel).
Hier geht es also nicht um Migration im Sinne einer einmaligen und endgültigen Verlegung des einzigen eigenen Lebensmittelpunkts an einen relativ weit entfernten Ort. Es geht auch nicht um die ziellose, sich über einen langen Zeitraum erstreckende Wanderung großer Bevölkerungsgruppen. Polt beschäftigt sich mit Migration im Sinne einer regelmäßigen, zeitweiligen Verlegung des eigenen Aufenthaltsorts, wie wir sie auch von Zugvögeln oder Europaparlamentariern kennen.
Italiener: langweilig, anders, schlechter?
Die Touristen sind indifferent gegenüber italienischen Kulturleistungen. Die eindrucksvolle festungsartige Anlage unmittelbar hinter dem Strand würdigen sie keines Blickes. Die „Poseidon-Platte“ voller frischer, vor Ort gefangener und kundig zubereiteter Meeresfrüchte lassen sie im Restaurant zurückgehen, weil sie nicht wissen, was „zum Essen dran“ sei. Siena sei „sterbenslangweilig“, weil es „nirgendwo ʼne Benzinpumpe aufzutreiben“ war. Dass die meisten Italiener sie ausgesprochen höflich und zuvorkommend behandeln, merken oder würdigen die Urlauber nicht. Die Urlauber haben offenbar kognitive und emotionale Mechanismen entwickelt, die es unmöglich machen, dass Gegebenheiten zum Vorschein kommen, die als genuin italienisch einzuordnen und positiv zu bewerten wären.
Die Urlauber sehen das spezifisch Italienische auch als irregulär und kritisieren Unzulänglichkeiten: „Am ganzen Apennin gibt es keine einzige funktionierende Toilette!“ „Dieses begnadete Volk ist nicht in der Lage, mit Sauerteig
umzugehen oder mit Kümmel.“ Ihre Nachlässigkeit habe ihnen „ned amal der Mussolini“ ausgetrieben.
Schließlich betrachten die Urlauber Einheimische als inferior und machen sie sich dienstbar. Die Italiener seien immerhin „a ganz a andere Rasse“. Die einzigen nicht störenden Italiener im Film sind Violetta, der feuchte Traum des stets halbnackten Protagonisten Erwin Löffler (Angestellter bei der “Bayerischen Landesbodenkreditanstalt, Filiale Dachau”) und das touristische Servicepersonal.
Ich habe den Film einer ersten (Pioniertat!) wissenschaftlichen Analyse unterzogen, die jetzt in dem von Halyna Leontiy herausgegebenen Band (Un)Komische Wirklichkeiten: Komik und Satire in (Post-)Migrations- und Kulturkontexten herausgekommen ist (S. 147–160).
Der Aufsatz geht auf einen Vortrag im Rahmen der Konferenz „Komik und Satire in Migrationskontexten“ am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen zurück. Ich danke Jens Berger, Brandon Dadarria, Sam Jenkins und Dr. Riem Spielhaus für wertvolle inhaltliche Hinweise sowie Prof. Dr. Martha Helfer in Rutgers, Prof. Dr. Robert Vilain von der University of Bristol und Prof. Dr. Hartmut Rosa (Universität Jena / Deutsche Schülerakademie) für die Möglichkeit, den Film in der Lehre zu behandeln.
Wer hätte gedacht, dass ein solcher Film einmal solche Aufmerksamkeit erregt — mir hat er Spaß gemacht, auch wenn Schüler und Studenten ihn regelmäßig GEHASST haben 🙂 Aber dass Migration Satire und Komik verträgt, ist ein wichtiges Thema, das ich gern weiter verfolge.