Was erzählen meine Kleidungsstücke? Das fragt sich die Autorin Imke Müller-Hellmann. Sie war für Leute machen Kleider weltweit unterwegs, um die Menschen zu treffen, die ihre Kleidung hergestellt haben. Ich fragte sie nach den Themen Nachhaltigkeit und Konsumverhalten und der Rolle von Unternehmern.

Leute machen Kleider ist unerwartet zum Bestseller geworden. Vom Spiegel und der F.A.Z. bis zum kapitalismuskritischen Blog haben die unterschiedlichsten Medien Imke Müller-Hellmanns Recherche zur globalen Textilindustrie aufgegriffen. Die Prämisse des Buches: Müller-Hellmann möchte wissen, wer ihre liebsten Kleidungsstücke gemacht hat. Sie will nicht nur die Marken kennenlernen, sondern genau die Menschen treffen, die genau dieses Kleidungsstück gefertigt haben. Ob sie nun in Schwaben sitzen oder in der chinesischen Provinz. Das Ergebnis ist ein Augenöffner und eine Reihe wirklich spannender Geschichten.

Ich fragte die Autorin, welche Lehren wir für die Markenkommunikation und für unser Verhalten als Unternehmer oder Verbraucher aus dem Buch ziehen können.

 

Christophe Fricker: Die globale Textilindustrie steht sehr stark in der Kritik: Schlechte Arbeitsbedingungen, umweltschädliche Produktionsweisen und mangelnde Transparenz werden ihr oft vorgeworfen. Hat sich Dein Bild dieser Industrie im Lauf der Recherche verändert?

Müller-Hellmann: Ja, auf jeden Fall. Ich habe die Größe und die globale Vernetzung der Textilindustrie mit ihren Ausmaßen und Verzweigungen zu verstehen begonnen. Ich habe Einblick in das technische und handwerkliche Know-how dieser Industrie erhalten und großen Respekt davor entwickelt. Ich hatte mit dem Schlimmsten gerechnet und mich umso mehr über die Zufallstreffer meiner Fabrikbesuche gefreut, bei denen ich engagierte Menschen antraf, die ökologischer und sozialer produzieren wollen. Nur … sind diese Zufallstreffer repräsentativ? Ich wünsche ja, aber ich befürchte nein. Mich haben sicherlich nur die Firmen eingeladen, die nichts zu verbergen haben. Schließlich habe ich an die Vordertür geklopft und nicht verschwiegen, dass ich darüber schreiben möchte.

 

Meinst Du, bei dem oft postulierten Trend zur Nachhaltigkeit handelt es sich nur um Gerede, oder meinst Du, es ändert sich tatsächlich etwas?

Ich habe Manager in Bangladesch gesprochen, die überzeugt sind, dass das Unglück von Rana Plaza ein Wendepunkt zu mehr Nachhaltigkeit sei. Manager in Vietnam berichteten mir, wie internationale Marken händeringend nach guten, ökologischen Betrieben suchen, da die Kritik in den Konsumentenländern wächst. Der Wunsch nach guten Arbeitsbedingungen für die Näherinnen und Näher ist da. Fragt sich, ob der Druck aufrecht erhalten bleibt, und was mit den vielen Betrieben ist, die für die nationalen Märkte der jeweiligen Länder produzieren. Die Näherinnen vor Ort versuchen immer, für Firmen zu arbeiten, die für internationale Marken tätig sind. Andere Manager in Vietnam haben sich über die unzähligen Audits, die sie über sich ergehen lassen müssen, lustig gemacht. Aber dass es diese Audits gibt, spricht dafür, dass sich etwas tut, und dass immer mehr Marken zum Beispiel der Fair Wear Foundation beitreten, die strenge Richtlinien hat, auch.

 

Und Du glaubst nicht, dass die Zertifizierungen, die Du ansprichst, doch nur eine „Feel-good-Strategie“ für die Medien sind?

Was mir bei meiner Recherche bewusst geworden ist, ist die Komplexität globaler Lieferketten. Selbst beim besten Willen ist es für manche Konzerne nicht mehr nachvollziehbar, wer vor einigen Jahren ein bestimmtes Kleidungsstück für die eigene Marke produziert hat. Und alle Beteiligten an diesen Lieferketten und Vertriebswegen stehen unter hohem Druck. Die Sache ist unglaublich unübersichtlich. Das heißt, die Marken, die sich zum Beispiel der Fair Wear Foundation anschließen, müssen als allererstes Transparenz in ihre Abläufe bringen, sie müssen der Stiftung alle Produktionsadressen mit den dazugehörenden Informationen zukommen lassen. Allein das ist schon eine kleine Revolution. Sofort kommt Licht in die Sache. Und die Agenturen, die sich zwischen Marken und Produktion geschoben haben, werden entmachtet. Je mehr Transparenz in den Lieferketten besteht, desto besser kann man die Arbeitsbedingungen kontrollieren und verbessern.

 

Trotzdem noch einmal: Ist Nachhaltigkeit nur ein Diskurs, oder verändert sich auch das Konsumverhalten?

Nachhaltigkeit ist sicher nur der Diskurs bestimmter gesellschaftlicher Kreise. Aber die Marken registrieren ihn genau. Marken sind über schlechte Presse verwundbar, und der über Jahre formulierte Wunsch der Kunden wird nicht unbeachtet bleiben. Die Frage ist aber berechtigt: Wie ernst meinen es denn die Kunden? Prägen sie sich tatsächlich die Namen der Marken ein, die sich zertifizieren oder verifizieren lassen? Die Frage nach dem Konsumverhalten wirft eine weitere auf: Ist das Konsumverhalten allein der Dreh- und Angelpunkt der Möglichkeit zur Veränderung? Oder müssen wir das gesamte Wirtschaften radikaler daraufhin befragen, wie es den Profit auf einen hinteren Rang verweisen und den Menschen und seine Umwelt auf die ersten, die besten Plätze setzen könnte?

 

Ziel Deines Buches war es ja, in ganz verschiedenen Ländern mit einfachen Arbeiterinnen und Arbeitern zu sprechen. Du hast aber auch Unternehmer getroffen. Hat sich Dein Bild von denen verändert?

Ja und nein. Die ersten, die ich antraf, entsprachen so dem Negativ-Klischee, dass ich mich fast nicht traute, mit dem geschrieben Kapitel vor meinen Lektor zu treten. „Viel zu dick aufgetragen“, würde sein Urteil sein, war ich mir sicheLeute machen Kleider Imke Müller Hellmann über Nachhaltigkeit, Unternehmer und die Geschichten hinter ihren Kleidungsstückenr. Aber ich habe im Laufe des Buches ein breites Spektrum von Charakteren kennengelernt, von den Zynikern bis zu den klugen Idealisten.

 

Und gewinnt am Ende immer der Zyniker?

Ich muss leider sagen, dass mein Eindruck letztlich schon der ist, dass „unchristliches“ Verhalten belohnt wird. Ich sage nicht: die Schlechtigkeit von Menschen, aber eben doch Verhaltensweisen, hinter denen gute Absichten zurückbleiben. Und das heißt für mich, dass sich Strukturen ändern müssen und nicht nur Diskurse oder die Entscheidungen einzelner Akteure.

 

Hat sich Dein Bild von China verändert?

Ja, sehr. Wer in China unterwegs ist und ein bisschen hinter die Kulissen blickt, der erkennt sehr leicht, dass die Gleichsetzung von „China“ und „billig“ längst nicht mehr funktioniert. China ist ein Hightechland, in dem viel Wert auf Qualität gelegt wird und Unternehmergeist eine große Rolle spielt. Was einen wirklich umhaut, ist einfach die Dimension von Städten, Fabriken, Gütermengen.

 

Kannst Du uns noch von einer wirklich erstaunlichen Begegnung erzählen?

Ich bin mit meinem Wissen um die Kritik an schlechten Arbeitsbedingungen und problematischen Umweltstandards nach Hongkong gefahren und habe eine Logistikerin befragt, nach den Problemen mit den billigen chinesischen T-Shirts. Sie stimmte mir sofort eifrig zu, das hat mich überrascht. Sie sagte: „Ganz oft stimmen da die Farben nicht, obwohl man sehr genaue Vorgaben macht.“ Sie meinte also etwas ganz anderes als ich. Ich hakte noch einmal nach und sagte, dass ich von den Produktionsverhältnissen spreche. „Ach so“, sagte sie. „Nein, das ist nur Ihr Bild von China, Billigproduktion und so. Die Maschinen in China, die sind richtig Hightech.“ Auch beim zweiten Mal haben wir also aneinander vorbeigeredet. Dann habe ich ausführlich erklärt, dass im Westen oder jedenfalls in Deutschland viel über lange Arbeitszeiten, fehlende Sicherheitsstandards und die Gesundheitsbelastung gesprochen wird, der die Arbeiterinnen und Arbeiter ausgesetzt sind. Da war meine Gesprächspartnerin wirklich verblüfft: „So habe ich das noch nie gesehen.“

 

Und was bedeutet das?

Ich schließe daraus, dass Gespräche über Werte und Ziele immer sehr viel komplexer und damit eben auch komplizierter sind, als wir uns das erst einmal vorstellen. Um hier voranzukommen, ist viel Hintergrundwissen und interkulturelle Kompetenz vonnöten.

 

Danke für das Gespräch!