Die am Hanse-Wissenschaftskolleg (HWK) angesiedelte Study Group „Stefan George: Poetry and Personhood in Modern Europe“, die seit 2012 eine multidisziplinäre Stern des Bundes Interpretation erarbeitete, hat mit einer Abschlusstagung ihre Arbeit beendet. Im August 2017 ist im Vittorio Klostermann Verlag ein umfangreicher Band erschienen, der die Arbeitsergebnisse — eben jene Stern des Bundes Interpretation — vorstellt.
Stefan Georges Gedichtband Der Stern des Bundes ist eines der provokativsten und ungewöhnlichsten Werke in deutscher Sprache. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs entfaltet George hier soziale, religiöse, poetologische, persönliche, philosophische und sogar wirtschaftliche Fragen. Der Stern des Bundes galt als Voraussage kommender Katastrophen, als Warnung, als Anregung zu friedlicher und intimer Gemeinschaftsbildung im Angesicht großer Krisen und als Bekräftigung eines hoffnungsvollen Blicks auf eine gemeinsam erfahrene Welt.
Zur Forschungsgruppe gehörten Germanisten (Prof. Dr. Jürgen Egyptien, Prof. Dr. Rolf Goebel, Dr. Ludwig Lehnen, Dr. Raymond C. Ockenden, Bruno Pieger, Tina Winzen und ich selbst als Sprecher der Gruppe), der Nationalökonom Prof. Dr. Dres. h.c. Bertram Schefold und die Philosophen Prof. Dr. Wolfgang Christian Schneider und Prof. Dr. Peter Trawny.
Über unsere Arbeit
Wie in der geistes- und zu großen Teilen auch der sozialwissenschaftlichen Forschung nicht anders zu erwarten, ist „die Sache selbst“ durch die intensive Beschäftigung mit ihr anders sichtbar geworden. Besonders die heutige Rezeptionssituation ist den Teilnehmern als Forschungsgegenstand eigenen Rechts neu bewusst geworden. Dies hat teils mit öffentlich markierten Ereignissen zu tun – darunter der 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs oder die jüngste Kontroverse um das Werk Martin Heideggers – und teils mit tiefer liegenden Veränderungen, beispielsweise auf dem Gebiet der Religiosität oder überhaupt dem Stellenwert des gedruckten Wortes. Diese Themen wurden in die Diskussion einbezogen und finden in unserem Ergebnisband ihren Niederschlag.
Die Tatsache, dass Kernelemente modernen Lebens überhaupt in einem Gedichtband verhandelt werden und dass Perspektiven auf verschiedene Lebensbereiche sich aus seiner Sprache neu eröffnen, regte zur multidisziplinären Arbeit an, die die Study Group vorantrieb.
Der Stern des Bundes verdient aus mindestens drei Perspektiven eine wissenschaftliche Würdigung: als dichterisches Werk; als Grundlage für Kreisbildungen und -entwicklungen sowie als Anhaltspunkt für Menschen, die für ihr auf Bildung, Gemeinschaft oder künstlerische Produktivität ausgerichtetes Handeln nach Orientierung suchen.
Unsere Stern des Bundes Interpretation äußert sich
- zur Frage nach dem Stellenwert, den George dem Wissen zuschreibt;
- zur Rolle der Frau, wie sie aus den Gedichten hervorgeht;
- zur Frage nach der philosophischen Interpretierbarkeit der Gedichte und ihrer Stellung in neuplatonistischer und christlicher Tradition;
- zu kontroversen einzelnen Gedichten, geraden den zeitkritischen;
- zum religiösen Charakter der vom Stern entworfenen Lebensperspektive;
- zum Verhältnis von Geist und Körper;
- zur Umwelt des Menschen als einem schützenswerten Gut und
- mit Bezug auf den Stern des Bundes als ungewöhnliche Dichtung zu den Kompositionsprinzipien eines Bandes, der die genannten Probleme gerade durch seine Komposition so aufwirft, dass sie als voneinander abhängig deutlich werden.
Publikation: Stern des Bundes Interpretation als Sammelband
Ergebnis der Arbeit ist eine Buchpublikation mit Beiträgen aller Teilnehmer und weiterer Expertinnen und Experten. Das Buch ist in drei Abteilungen gegliedert, die den drei Arbeitsschritten der Study Group entsprechen, nämlich
(1) einen propädeutischen und thematischen Teil. Dieser Teil soll den Leser an den Stern heranführen und wichtige Aspekte des Werks erschließen. Er soll das Vorwissen und die Erwartungen des Lesers aufgreifen und zeigen, wie George historische, thematische und disziplinäre Kontexte anspricht und in seinem Werk überschreitet.
(2) einen Teil zu wichtigen, teils von uns in spannungsreichen Paaren oder Gruppen angeordneten Worten, die im Stern des Bundes vorkommen. Dieser Teil beschäftigt sich mit jenen Worten, die für den Stern zentral sind und dort in einer Weise vorkommen, die den gängigen Sprachgebrauch herausfordert. Im Gegensatz zur ersten Abteilung beginnt diese zweite Abteilung also jeweils nah am Text. In Auswahl, Gruppierung und Reihenfolge liegt schon entschiedene Interpretation, die aus langjähriger, teils gemeinschaftlicher Lektüre legitimiert ist.
(3) einen Teil mit Gedicht-Interpretationen. Hier werden in Einzelinterpretationen Gedichte aus dem Stern als eigenständige Texte vor dem Hintergrund ihrer Position im Werk nachvollzogen und erläutert. Dabei kommen Aspekte zur Sprache, die in den anderen beiden Abteilungen noch nicht ausführlich behandelt wurden.
Die einzelnen Beiträge sind:
Christophe Fricker
Provokationen, Freiräume, Risiken: Eine Annäherung an Stefan Georges Buch Der Stern des Bundes
Teil I: Konstellationen
Bertram Schefold
Aufschwung und Abkehr, Krise und Hoffnung: Der Kreis auf der Höhe seines Tuns
Jürgen Egyptien
Der George-Kreis vor dem Ersten Weltkrieg: Das Jahrbuch für die geistige Bewegung und sein Kontext
Jürgen Egyptien
Von der Kosmischen Runde über die „Maximin“-Dichtung zum Stern des Bundes: Stationen der Gestaltwerdung des Göttlichen bei Stefan George
Bruno Pieger
Der Stern des Bundes als tektonisches Gebilde
Ray Ockenden
Natur und Natürliches im Stern des Bundes
Bruno Pieger
Hölderlin und George – Eine Konstellation
Wolfgang Christian Schneider
Zeitenfülle und des dunklen Grauens Wind: Zum Ethischen in Georges Der Stern des Bundes
Peter Trawny
Die Apokalypse des Gedichts: Fragmentarische Bemerkungen zu Georges Stern des Bundes
Ludwig Lehnen
Der Stern des Bundes und das Transzendenz-Problem der Moderne
Teil II: Grundworte
Jürgen Egyptien: Wende, Frühe, Da
Ludwig Lehnen: Wort, Bild, Tat
Christophe Fricker: Gesetz
Franziska Merklin: Schmerz
Franziska Merklin: Fratze
Jürgen Egyptien: Weihe, Würde, Opfer
Klaus Anders: Nacht
Christophe Fricker: Dienst der liebe
Bertram Schefold: Wissen
Ray Ockenden: Zauber
Tina Winzen: Flamme
Wolfgang Christian Schneider: Der Ungenannte
Adrian Daub: Runde
Adrian Daub: Reich
Teil III: Einzelinterpretationen
Tina Winzen: Du stets noch anfang uns und end und mitte (VIII 8)
William Waters: Der strom geht hoch .. da folgt dies wilde herz (VIII 11)
Paul Bishop: Ergeben steh ich vor des rätsels macht (VIII 14)
Wolfgang Christian Schneider: Als sich dir jüngling dein beruf verkündigt (VIII 22)
Ludwig Lehnen: Nennt es den blitz der traf den wink der lenkte (VIII 25)
Tina Winzen: Alles habend alles wissend seufzen sie (VIII 29)
Christophe Fricker: Ihr baut verbrechende an maass und grenze (VIII 31)
Ray Ockenden: Schweigt mir vom Höchsten Gut: eh ihr entsühnt (VIII 33)
Ludwig Lehnen: Nun bleibt ein weg nur: es ist hohe zeit .. (VIII 40)
Bruno Pieger: Entbinde mich vom leichten eingangsworte (VIII 51)
Ray Ockenden: Vor-abend war es unsrer bergesfeier (VIII 74)
Rolf J. Goebel: Die einen lehren: irdisch da – dort ewig .. (VIII 78)
Jürgen Egyptien: Von welchen wundern lacht die morgen-erde (VIII 82)
Christophe Fricker: Wer je die flamme umschritt (VIII 84)
Felix Prautzsch: Neuen adel den ihr suchet (VIII 85)
Wolfgang Christian Schneider: Da zur begehung an des freundes arm (VIII 88)
Bertram Schefold: Ein wissen gleich für alle heisst betrug (VIII 95)
Bruno Pieger: Die weltzeit die wir kennen schuf der geist (VIII 96)
Franziska Merklin: Wer schauen durfte bis hinab zum grund (VIII 103)
Bertram Schefold: Denk nicht zuviel von dem was keiner weiss! (VIII 107)