Aus Anlass von Tomas Tranströmers Nobelpreis komme ich ins Grübeln. Der Nobelpreis ist bedeutend und mit über einer Million Euro hoch dotiert. Aber die Begründung, warum ein Autor ausgezeichnet wird, ist immer sehr kurz. Tomas Tranströmer erhielt den Preis aus folgendem Grund: „Seine dichte Bildersprache verschafft uns einen neuen Zugang zur Realität.“ Das wirkt leicht dahingesagt, und auf vielen Buchumschlägen verkünden Werbetexter Ähnliches. Aber nehmen Sie einmal an, es stimmte. Ein paar Zeilen Lyrik, und die Welt ist eine andere? Es wäre außerordentlich. Unsere Orientierung ist verlässlich, unsere Wege sind meist nicht neu. Dann kommt ein Herr aus Schweden und sagt: „Die Brücke: ein großer eiserner Vogel, der am Tode vorbeisegelt.“
Ich habe Höhenangst, vor allem auf Brücken. Ängste sind deshalb so mächtig, weil wir sie nur schwer in Worte fassen können. Tranströmers Zeile erfasst etwas, was in mir vorgeht, wenn ich auf der Brücke über einem reißenden Fluss stehe. Die Zeile bringt etwas zur Sprache, was in mir angelegt war. Sie verschafft „mir“ deshalb einen neuen Zugang zur Realität, weil sie nicht etwas an mich heranträgt, sondern aus meiner Stimme und meinem Blick etwas entfaltet. Sie muss mich nicht durch ein Argument überzeugen. Sie erreicht, was Hofmannsthal so sehnsüchtig insistierend verlangt: Wir erkennen an, „dass es wirklich so ist!“
Ich freue mich riesig über den Nobelpreis für Tomas Tranströmer. In einem kleinen Beitrag für Martina Bergmann und die Freunde Ihrer exquisiten Buchhandlung habe ich das noch etwas weiter ausgeführt. Der Beitrag ist als Sonderdruck bei ihr zu haben — angeblich ein Bonbon …
- Foto von bogenfreund.