(To read this post in English click here.) Natürlich hatte Facebook sein Gutes. Natürlich bin ich für vieles dankbar. Aber es ist Zeit, wieder den Einstieg ins richtige Leben zu wagen. Zum Monatsende höre ich mit Facebook auf. Der Facebook-Abschied fällt mir nicht schwer. Hier die wichtigsten Gründe für meine Entscheidung und ein Ausblick, wie es weitergehen soll.
2006 habe ich mit Facebook angefangen. Ich habe vieles von meinen Freunden erfahren, an das ich im Gespräch anknüpfen konnte. Namen aus vergangenen Jahren tauchten wieder auf, und es war möglich, Kontakt zu halten, ohne viel zu investieren. Wichtige Ereignisse, erstaunliche Gedanken, witzige Formulierungen, schöne Bilder mitzubekommen. Ich bin in 15 Jahren 15mal umgezogen, und mein doch immer vorhandenes Bedürfnis nach Kontinuität wurde in der virtuellen Welt befriedigt.
Wenn irgendwo gejubelt wird, muss man fragen, wo das Leid getragen wird, sagt Ernst Jünger. In all den Jubel über Facebook mischte sich das Bewusstsein, dass ich als (im finanziellen Sinn) nicht zahlender Kunde doch einen Preis bezahle. Ich muss immer mehr in Kauf nehmen. Als ich in den USA wohnte, ging es mit der Gesichtserkennung los. Mit der Möglichkeit, sich den Austausch zwischen zwei bestimmten Menschen im Überblick darstellen zu lassen. Immer mehr neue Features waren automatisch eingeschaltet, zum Beispiel die Lokalisierungsfunktion. Facebook änderte seine Privatsphäre-Regelungen, kommunizierte sie aber entweder gar nicht oder irreführend.
In den letzten vier Wochen habe ich mich nur noch ein oder zweimal bei Facebook eingeloggt. Ein gradueller Facebook-Abschied also irgendwie. Vorher hatte ich Angst, dass mein Leben ändern würde, wenn ich nicht mehr dabei bin. Jetzt sehe ich: Einiges bekomme ich sicher nicht mehr mit, aber meine Sucht kann ich besiegen. Auch vorher war mir klar, dass ich weiterhin meine Freunde anrufen, ihnen Postkarten oder Briefe oder Mails schreiben, sie besuchen kann. Ich das alles auch gemacht, aber immer seltener. Die Vielfalt von Medien, die Möglichkeit, ein bestimmtes Medium für einen bestimmten Anlass zu wählen, das war in der Theorie vorhanden, aber in der Praxis kaum noch. Die unverbindliche, niedrigschwellige, kurzatmige Form der Facebook-Kommunikation hatte die Oberhand gewonnen. Mit George Orwell könnte man sie „Facespeak“ nennen. Sie ist nicht gut. Sie führt dazu, dass ich das, was Facebook mit seinem Namen verspricht, gerade nicht mehr tue: „to face“. Jemanden ansehen, jemanden auch dann ansehen, wenn es schwierig oder ernst oder schön wird, statt weiterzuklicken. Es ist kein Wunder, dass aus dem Namen „Facebook“ noch kein Verb geworden ist. Wir googeln und twittern, aber wir facen nicht. Wir haben unsere Freunde aus den Augen verloren.
Mich beunruhigt, dass ich als Facebook-Nutzer letztlich nicht mehr kontrollieren kann, wer meine Daten ansieht, abgreift, ausnutzt. Mir ist klar, dass ein Unternehmen Geld verdienen muss und dass es Dritte dabei einbezieht. Aber wenn Daten weitergeleitet und ausgewertet werden von Institutionen, von denen ich nie erfahren werde, dann werden Entscheidungen über mein Leben getroffen, die ich ebenfalls nicht mitbekomme. Ich werde eingeschränkt. Wenn Unternehmenspartner und staatliche und halbstaatliche Organisationen Daten miteinander teilen und Nutzerdaten aus sozialen Netzwerken mit Kontoinformationen und Gesundheitsdaten verbinden, betrifft das meine Gesundheitsversorgung, meine Kreditwürdigkeit, meine Rechte aus Einreise in bestimmte Staaten und vieles mehr. Ich kann nicht widersprechen, wenn Algorithmen mir Möglichkeiten verwehren, weil diese Entscheidungen als solche gar nicht mehr deutlich sind.
Auf Facebook habe ich ungefähr 600 Freunde. Jede Beziehung dort geht auf schöne Momente, oft sehr viele, zurück, und in jedem Fall hat mir auch der Austausch auf Facebook etwas gegeben. Dafür bin ich meinen Freunden dankbar. Ich sehe aber auf meinem Newsfeed inzwischen fast nur noch Meldungen über Menschen, die ich kaum kenne, und die Freunde, die meinem Herzen nahe sind und an die ich oft denke, tauchen kaum noch auf. Ich weiß, dass man das zu einem gewissen Teil einstellen kann, aber auch mit vielem Ausblenden und Nachsteuern hat sich nichts Wesentliches geändert. Irgendwie ist der “Facebook-Abschied” also erst einmal ein Facebooks Abschied von mir gewesen.
Mein Facebook-Abschied ist dadurch begründet, dass ich mich auf andere soziale Netze konzentrieren will: gemeinsame Mittagessen, Kinobesuche und Wanderungen, Gespräche bei Wein und Bier, Fahrten durch die Lande, Anrufe und Briefe, Postkarten und Tage in Museen – all das, was ich auch jetzt schon tun kann, was ich aber wieder zu seinem Recht kommen lassen möchte. Das Gemeinsame, face to face. Mir geht es nicht darum, mit irgend jemandem den Kontakt abzubrechen. Aber ich möchte die Begegnungen und Gespräche, die mein Leben bereichern, unabgelenkt, unüberwacht und unausgebeutet genießen. Das ist eine Frage der Freiheit und eine Frage der Freundschaft. Ich werde mich öfter melden, und ich freue mich, von Dir zu hören.
Facebook hat eine Funktion, mit der ich meine Daten herunterladen kann. Das tue ich, denn es geht mir auch nicht darum, irgend etwas zu löschen oder auszuradieren. Ich will nichts vernichten, ich möchte das, was mir etwas wert ist, bei mir haben und nicht in einer Cloud, einem virtuellen Marktplatz verstreut wissen. Hier auf meinem Blog werde ich nach meinem Facebook-Abschied manches von dem posten, was ich sonst auf Facebook gesagt hätte.
Ich würde mich freuen, wenn wir befreundet blieben. Es wäre wunderbar, wenn wir Freunde würden.
Fragen oder Ideen zum Thema Leben ohne Facebook? Schreiben Sie mir, ich freue mich drauf!
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