Bevor ich über schottische Lyrik auf deutsch und über weibliche Härte spreche, erlauben Sie mir ein persönliches Wort.
Als ich Kind war, wollte ich Chefredakteur einer großen Zeitschrift werden. Themen aufspüren, Autoren auf sie ansetzen, Ergebnisse zusammentragen und sie so präsentieren, dass interessierte Leser Spaß dran haben und etwas lernen. Zeitschriften haben Tempo, Farbe und Durchschlagskraft.
Für Literaturzeitschriften gilt das nicht immer. Manche sind langweilig, trocken und mutlos. Grau und nach innen gekehrt. Das ist schade, denn Zeitschriften können Geburtskanäle für Texte und Debatten sein. Wenn sie eine Linie haben, freuen sich Leser auf die nächste Ausgabe.
Auch wenn es lange dauert. Bei der in Bremen und München herausgegebenen KRACHKULTUR hat es wieder Jahre gedauert. Aber die Krachkultur hat ihr Publikum, weil sie eine Linie hat.
Das fängt bei der Covergestaltung an. Sie war immer auffällig. Inzwischen liegt sie in den Händen eines Weltstars: Yanko Tsvetkov ist der Autor des “Atlas der Vorurteile”, einer aufgeklärt-satirischen, schrill-bunten Sammlung von Karten der Länder und Kontinente “aus der Sicht von …” Der Spiegel, die Süddeutsche und der Playboy haben dieses Frühjahr aus Begeisterung Luftsprünge gemacht. Tsvetkovs Krachkultur-Cover trägt seine Handschrift: klar und einfach. Es schlägt ein.
Die Krachkultur gibt es seit zwanzig Jahren. 15 Ausgaben hat der Herausgeber Martin Brinkmann mit untrüglichem Gespür zusammengestellt. Brinkmanns liegt, wenn er etwas lobt, nie falsch. Ich arbeite seit einigen Jahren mit ihm zusammen, inzwischen auch als Beirat der Krachkultur. Manchmal habe ich Texte und Autoren vorgeschlagen, die bei Martin Brinkmann keine Gnade gefunden haben. Aber seine Ablehnung war nie boshaft, und sie hat stets das Ziel, Raum zu schaffen für das, woran ihm etwas liegt.
Aus allen Ecken und Enden der deutschen Medienlandschaft erntet er dafür Lob. „Gehört in jeden Haushalt“, befand der Bayerische Rundfunk letztes Jahr, und das Nordwestradio urteilte mit hörbarer Freude, die Krachkultur sei „eine Zeitschrift, auf die wir hier in Bremen stolz sein können“. Kürzlich widmete Cicero dem Herausgeber Martin Brinkmann sogar eine charmante Home story.
Der Schwerpunkt von Heft 15 liegt auf US-amerikanischer Literatur. Besonders eine aktuelle Tendenz hat es Martin Brinkmann und mir angetan: die neue Härte in der weiblichen US-Literatur. Mit Mary Miller (*1977) präsentieren wir den wohl heißesten Independent-Tipp aus Übersee. Junge unverstandene Menschen sind das Thema dieser Autorin. Ihre Figuren sind wütend und traurig zugleich. Sie sind ebenso wissend wie ratlos. Das macht sie philosophisch. Ihre Sehnsucht nach Romantik ist groß, aber der Zeitgeist verlangt pornografische Abgeklärtheit von ihnen. In der Tradition von Bret Easton Ellis (Unter null) geschrieben, handeln die Geschichten der Mary Miller – auch die hier veröffentlichte namens „Cedars of Lebanon“ – vor allem vom Verlust, dem Verlust aller Illusionen.
Was mir besonders am Herzen liegt in diesem Heft: James Sallis (*1944), der bekannte Krimi-Bestseller-Autor (Driver mit Ryan Gosling) ist mit einer kleinen Story vertreten, in der er sich einem seiner Lieblingsthemen widmet, dem »Fahren«. Der Autor sagt selbst: „Ich habe irgendwie jede Menge über das Autofahren geschrieben: diese Story, ‚Blue Devils‘, ‚Need‘ und noch mehr. Anscheinend haben mich die vielen Autos beeindruckt und diese ganze Weite der Landschaft, als ich in Texas gewohnt habe.“
Und damit sind wir endlich beim Thema schottische Lyrik auf deutsch: Von dem vielfach prämierten schottischen Dichter Robin Robertson (*1955), der jetzt auch im deutschen Sprachraum entdeckt wird, habe ich drei Texte übersetzt, die bisher nur auf Englisch vorlagen. Sie sind erdig, verzweifelt, menschennah: „Ich war hier unten auf dem Spielplatz / mit den andern Erwachsenen, / auf den Karussells und Schaukeln, / während oben auf dem Hügel / auf dem Tennisplatz / die Kinder knieten und erschossen wurden.“
Ich bin zwar nicht Chefredakteur einer großen Zeitschrift geworden. Aber an der KRACHKULTUR mitarbeiten zu können, erlaubt es mir, einigen schrillen und schönen Texten zu etwas mehr Umph zu verhelfen — sei es weibliche Härte, sei es schottische Lyrik auf deutsch und sicher in Zukunft noch vieles mehr. Immerhin.